Wasser für alle!

Ein*e Journalist*in erkennt die Story, wenn sie sich zeigt. Aber meistens gibt es noch mindestens eine zweite, weniger spektakuläre, empörende oder aufregende Geschichte daneben. Und manchmal wählt man halt trotzdem diese.

Peter Keller (rechts) mit seinem Helfer Luis beim Bau des Brunnens auf dem Röschibachplatz.

Die Baustelle am Röschibachplatz ist wie ein riesiger Unfall: Es ist schrecklich, wie das grosse Gebäude Wand für Wand, Boden für Boden abgerissen wird, wie sich der Greifer des Krans in den Wänden festbeisst und Kabel, Verstrebungen und Schutt wie Eingeweide ans Tageslicht zerrt. Und trotzdem kann man nicht wegsehen, wenn eine weitere Mauer einstürzt, die verhältnismässig kleine Abrisszange solange am Dach zerrt, bis die Ziegel runterkrachen. Ärgerlich für die vielen Wipkinger*innen, die sich gerne auf dem Röschibach tummeln, beängstigend für die Anwohner*innen, die miterlebt haben, wie die Trümmer einer herabfallenden Mauer die Absperrung zu Fall brachten und dabei fast zwei Mädchen auf dem Trottoir verletzt wurden. Mühsam auch für die Marktstandbetreiber*innen, denen plötzlich die Wasserquelle fehlte. Der Brunnen auf dem Röschibachplatz wurde nämlich kurzerhand von der Baustelle annektiert. Und hier ist sie schon, die Story, über die die Journalistin üblicherweise schreiben würde. Darüber, wie sich der Quartierverein sich bei den Verantwortlichen erkundigte, wieso der Brunnen nicht mehr zugänglich sei und darüber, dass das Wasserwerk nichts davon wusste und auch nicht zur Baubegehung eingeladen worden war. Oder darüber, dass das Vorhandensein von fliessendem Wasser eine der geltenden, vom Kantonalen Lebensmittelinspektorat vorgeschriebenen neun Hauptregeln für Frischwarenmärkte ist. Und die Stadtpolizei das angeblich abstreitet. Die klassische David gegen Goliath Geschichte, en Miniature. Aber manchmal hat man einfach keine Lust auf die offensichtliche Geschichte. Sondern mehr darauf, was sich daraus ergab. Auf das: Ja, und? Oder ist es eher ein «Trotzdem…»? Nämlich eine rasche Intervention, die unbürokratische Lösung eines bürokratischen Problems, der Einsatz von Know-how und Goodwill «aus dem Quartier für das Quartier», um den abgelutschten Slogan eines Grossisten zu bemühen. Weil der Quartierverein so ungeduldig ist und gut vernetzt, und sich, eins, zwei, drei, selber helfen kann. Und so ist es statt einer Anklageschrift plötzlich eine kleine Liebeserklärung geworden. An alle, die Hand anlegen, anstatt mit dem Finger zu zeigen.

Weil sie es können

«Hey, wie geht’s? was gibt’s zu Essen?» Kein Schritt, ohne dass Peter Keller jemandem zunickt, begrüsst wird, oder ein paar aufmunternde Worte austauscht. Der grossgewachsene Mann mit den grauen Haaren ist in Wipkingen geboren und aufgewachsen. Nach ein paar Jahren in verschiedenen, angrenzenden Gemeinden ist der Schreiner in seine Homebase zurückgekehrt und lebt seit 35 Jahren in Wipkingen. Peter bewegt sich mit bedächtigen, langen Schritten. Unter diesen Umständen wäre auch nichts anderes möglich. Da er gerne und schnell mit anderen ins Gespräch kommt, war bald bekannt, dass da einer war, der Sachen «machen» kann und gerne hilft. Mittlerweile hat er gelernt, auch wieder auszusteigen, «sonst ist man irgendwann gar nie mehr zu Hause und ich habe ja auch noch eine Familie, die ich gerne sehen will», meint Peter. Wenn aber Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen, um einen Gefallen bittet, ist er zur Stelle. So wie diesen Frühling. «Beni ärgerte sich sehr darüber, dass der alte Brunnen auf dem Röschibachplatz einfach hinter der Bauabschrankung verschwand», erzählt Peter. Immerhin dient er den Marktbetreiber*innen samstags und dienstags als Trinkquelle und nach dem Besuch der Kompotoi will man sich auch die Hände waschen. «Also hat Beni kurzerhand den Sanitär Debrunner und mich angefragt, ob wir nicht einen Ersatz bauen könnten. So haben Luis Egger – mein treuer Helfer – und ich am Nachmittag des 1. April vor Ort eine Hülle für die sanitäre Installation gezimmert». Der QV taufte den Brunnen auf den Namen «Bisongrasbrunnen» und wenig später wurde er von einigen Kindern aus dem Schulhaus Waidhalde zum Thema «Wasser» bemalt. Erfreulich ist, dass das Kunstwerk, das es geworden ist, sich grosser Beliebtheit erfreut. Es soll nun solange als Wasserspender dienen, bis der frühere Brunnen wieder freigegeben wird. Und das ist die Geschichte, die man nicht erzählen muss, aber kann. Nicht die vom unterschlagenen Brunnen, sondern die von denen, die nicht nur die Faust im Sack machten, sondern die Hände frei hatten, um einen neuen Brunnen zu bauen und so Wasser für alle verfügbar zu machen. Weil sie es können. Eins, zwei, drei.

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