Kultur
Weg vom Kapital, hin zur Liebe
In der Diskursreihe «MovingTowardsZero» veranstaltet das Tanzhaus Zürich bis April 2026 monatlich Talkrunden. Den Anfang machte ein Gespräch zwischen Mandy Abu Shoak und Emilia Roig.
15. Oktober 2025 — Dagmar Schräder
Bald schon dreissig Jahre lang bietet das Tanzhaus Zürich an der Wasserwerkstrasse in Wipkingen ein Zentrum für zeitgenössisches Tanzschaffen in der Schweiz. Dort wird nicht nur geprobt und unterrichtet, sondern auch produziert und präsentiert. Und zum 30. Geburtstag, der nächstes Jahr stattfinden wird, schenkt sich das Kulturzentrum eine eigene Veranstaltungsreihe.
Mit «MovingTowardsZero» will es die Bedeutung von «Kreativität als Instrument für menschliche und soziale Entwicklung, den sozialen Wandel und als eine Antwort auf die grossen globalen Herausforderungen unserer Zeit» verdeutlichen und lädt jeden Monat zu einem Gespräch zwischen zwei Protagonisten, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, ein. Im Juni nächsten Jahres mündet die Diskursreihe schliesslich in das gleichnamige Festival.
«Lieben» als revolutionärer Akt
Den Auftakt der Veranstaltungsreihe machte Ende September die Diskursveranstaltung zwischen Mandy Abu Shoak und Emilia Roig. Sie trug allerdings nicht etwa die Nummer 1, sondern die Nummer 8 – logisch eigentlich, denn «wenn die Reihe schon MovingTowardsZero heisst, müssen wir auch rückwärts Richtung Null zählen», erklärte Catja Loepfe, Leiterin des Tanzhauses, dem zahlreich erschienenen Publikum an diesem freundlichen Spätsommerabend, bevor sie die Bühne den beiden Protagonistinnen überliess.
Emilia Roig ist Politikwissenschaftlerin, Gründerin des Zentrums für «Intersectional Justice» in Berlin und Autorin von Bestsellern wie «Why we matter», «Das Ende der Ehe» oder «Lieben». In ihren Texten geht es um Feminismus, Rassismus, strukturelle Diskriminierung und den Aufbruch in eine gerechtere Welt.
Mandy Abu Shoak ist Kantonsrätin der SP, Sozialarbeiterin und Menschenrechtsaktivistin. Mit Emilia Roig unterhielt sie sich an diesem Abend über die «Liebe». Was etwas abgedroschen und romantisch klingen mag, ist aber in den Augen von Roig vielmehr revolutionär und absolut politisch.
Liebe ist auch Care-Arbeit
«Lieben» ist denn auch der Titel des neuesten Werks von Roig, der für eine radikale gesellschaftliche Veränderung plädiert. Es brauche, so Roig, einen Paradigmenwechsel. Weg vom Kapital, hin zur Liebe. Liebe manifestiere sich eben unter anderem in der Care-Arbeit, der Fürsorge für andere. Und das Prinzip der Lohnarbeit werte genau diese Care-Arbeit ab.
Liebe ist dabei für Roig aber nicht beschränkt auf die Familie oder die Ehe – ganz im Gegenteil. In unserer Gesellschaft sei eine patriarchalische Erzählung der Liebe vorherrschend, welche die Ungerechtigkeiten der vorherrschenden Strukturen manifestiere.
Roig versteht Liebe dagegen vielmehr als ein universelles Gut, das sich gar nicht nur auf die Menschen beschränkt, sondern auch gegenüber der Natur und den Tieren empfunden werden kann. Es gehe nun darum, sich zu öffnen – für ein neues Bild der Liebe und eine neue Form des Zusammenlebens. Damit könne schliesslich auch das vorherrschende kapitalistische System zum Fall gebracht werden.
Alte Strukturen aufbrechen und Neues ermöglichen
Wie aber soll eine gerechtere Welt, ein gerechteres System nach den Vorstellungen von Roig aussehen? Um gegen die vorherrschenden Ungerechtigkeiten ankämpfen zu können, so Roig, müsse man gar keine konkrete Vorstellung einer möglichen Zukunft haben.
Es reiche, das Alte aufzubrechen – durch die Destruktion alter Strukturen entstehe Raum für Neues. Das Publikum nahm die Ideen und Gedankengänge Roigs dankbar auf, was es nicht nur durch eine aktive Fragerunde, sondern auch durch seinen begeisterten Applaus zum Ende der Veranstaltung bewies.
MovingTowardsZero
Anlässlich seines 30-jährigen Bestehens lädt das Tanzhaus Zürich 2026 zu einem visionären Festival ein: MovingTowardsZero (26.–28. Juni 2026) vereint Kunst, Aktivismus und gemeinschaftliches Erleben zu einem utopischen Raum der Transformation. In Performances, Workshops, Ritualen und einer Tanzdemo im öffentlichen Raum verschränken sich künstlerische Praxis, ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit zu einem nachhaltigen Zukunftsentwurf.
Bereits ab September 2025 eröffnet die gleichnamige Diskursreihe MovingTowardsZero #8 bis #1 den Denk- und Begegnungsraum.
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