Quartierleben
Wenn der letzte Wille nichts wert ist
An der Bucheggstrasse 35 sind Bauprofile ausgesteckt. Das alte Gebäude soll durch zwei Neubauten ersetzt werden. Dagegen regt sich Widerstand aus der Nachbarschaft – und auch der letzte Wille der Eigentümerin sah anders aus.
15. Dezember 2022 — Dagmar Schräder
Ein altes, herrschaftliches Haus, zwischen der Tièche- und der Bucheggstrasse. Drei Stockwerke hoch, das obere Stockwerk mit Attikageschoss. Der grosszügige Garten an Hanglage erstreckt sich über mehrere Ebenen, die mehr als hundert Jahre alten Bäume überragen die umliegenden Gebäude bei weitem. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1926. Nach dem Tod der Besitzerin im Jahr 2017 ging das Haus ins Eigentum einer Alleinerbin über, die das Haus an eine Immobilien-AG weiterverkaufte. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Besitzer des Nachbargrundstücks ist nun gemäss Informationen aus der Mieterschaft anstelle der beiden alten Gebäude mit insgesamt acht Wohnungen ein grösserer Komplex geplant, der vier Neubauten und 32 Wohnungen enthält. Damit werden nicht nur die Häuser abgerissen, auch der Grossteil des Grünraums muss weichen. An der Bucheggstrasse 35 sind die Neubauten bereits ausgesteckt, die Mieter*innen haben die Kündigung erhalten und sind ausgezogen. So weit so alltäglich.
Das Testament ignoriert
Doch die verstorbene Eigentümerin hatte sich eigentlich für ihr Haus und die Mieterschaft etwas ganz anderes gewünscht und noch zu Lebzeiten festgelegt, was mit dem Gebäude nach ihrem Ableben geschehen solle. In dem der Redaktion vorliegenden Testament ist Folgendes festgehalten: «Sodann möchte ich den jetzigen Mietern der Hochparterrewohnung, Gérald Gloor und Beat A. Stephan, die Möglichkeit geben, das jetzige Mietverhältnis zu denselben Bedingungen wie bis anhin weiterzuführen und vor allem den Garten nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.» Ein Vertrag, in dem festgelegt wird, wie sich die Eigentümerin die Gestaltung des Gartens vorstellt, ergänzt diesen letzten Willen: «Errichtung einer Dauermiete unbegrenzt zu gleichen Mietbedingungen wie zu Lebzeiten der momentanen Eigentümerin.» Und weiter: «Angestrebt ist das Weiterbestehen des Bildes einer Muthesius-Villa in gepflegtem Umfeld.»
Mit dem Verkauf und dem geplanten Neubau wurde das Testament ignoriert. Gegenüber dieser Zeitung wollten die neuen Besitzer dazu nicht Stellung beziehen. Auch eine Verhandlung vor dem Mietgericht brachte nichts: Zwar erklärte die Richterin, dass die Mieter*innen aufgrund des klar geäusserten Willens der Erblasserin moralisch im Recht seien, doch gegen das Begehren des neuen Besitzers sah sie rechtlich keine Handhabe.
Garten ist auch für die Nachbarschaft von Bedeutung
Umstritten ist jedoch nicht nur die Umsetzung des Testaments, für Unmut sorgen die geplanten Bauten auch noch aus weiteren Gründen. Der bezeichnete Garten war nämlich nicht nur der ehemaligen Besitzerin ein grosses Anliegen, sondern liegt auch der Nachbarschaft am Herzen. Deshalb haben sich Anwohner*innen zur Nachbarschaftsinitiative «Buchegg» zusammengeschlossen, um für den Erhalt der Grünfläche zu kämpfen: «Wir sehen zwar ein, dass im Zuge der Verdichtung Neubauten geplant werden», so eine der Anwohner*innen (Name der Redaktion bekannt), «doch eine sinnvolle und nachhaltige Verdichtung sieht in unseren Augen anders aus.» Die Gartenflächen und insbesondere die darin enthaltenen alten Bäume seien nicht nur als grüne, schattenspendende Oasen sowie Lärm- und Sichtschutz gegenüber der angrenzenden Bucheggstrasse von grosser Bedeutung, sondern auch im Sinne der Biodiversität und des Klimaschutzes. Die Bäume dienten zudem auch als CO2-Speicher, wirkten hitzemindernd in den heissen Sommermonaten und böten Schutz vor zu starker Bodenerosion.
Petition an die Stadt
Der Schutz von altem Baumbestand, der Erhalt von Grünflächen und Biodiversität sowie die Verhinderung von weiterer Versiegelung von Bodenflächen sind alles Ziele, denen sich auch die Stadt verpflichtet hat. In Bezug auf den Erhalt von Bäumen wurde etwa Anfang des Jahres gemäss einer Medienmitteilung der Stadt eine neue «Fachplanung Stadtbäume» geschaffen, welche die «Grundlage für den langfristigen Erhalt und die Förderung der Stadtbäume» gewährleisten soll. Die Kronenfläche, also die von Bäumen beschattete Fläche, habe in der Stadt in den letzten Jahren deutlich abgenommen, und es seien «dringend Massnahmen zum Schutz und zur Förderung der Bäume erforderlich», so der Wortlaut der Mitteilung. Um auf politischer Seite für ihr Anliegen zu sensibilisieren, hat die Initiative deshalb nicht nur Kontakt zu verschiedenen Politiker*innen aufgenommen, sondern auch auf der Plattform «open petition» eine Petition gestartet. Noch rund zwei Monate lang kann diese online unterschrieben werden, bevor sie den zuständigen Stadträt*innen übergeben werden soll.
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