(Wie) soll sich das Gewerbe organisieren?

Vor fast zwei Jahren kam es im Gewerbeverein Wipkingen zum Eklat, wenig später löste er sich auf. Dieses Jahr meldet der Verein Handel und Gewerbe Höngg Not an. Was geschieht gerade mit dem Gewerbe?

Wo ist das Gewerbe in Wipkingen noch sichtbar - und wer ist überhaupt "das Gewerbe"?

2018 feierte der Gewerbeverein Wipkingen noch sein 25-Jahre-Jubiläum. Gegründet worden war er mit dem Ziel, die Präsenz der Unternehmer*innen im Quartier zu stärken und sich untereinander gesellschaftlich zu vernetzen. Für die Mitglieder wurden Ausflüge und Unterhaltungsabende organisiert, einmal im Monat traf man sich auf einen «Stamm» zum Austausch und um Anlässe zu planen. 1997 organisierte der Verein eine Messe am Wipkingerfest, später war er am Weihnachtsmarkt des Quartiervereins mit einem Risottostand präsent. Wann es zu kriseln begann, ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass es schon lange schwierig war, Leute für den Vorstand zu gewinnen. Greifbar wurde das Problem schliesslich an der Generalversammlung im Frühling 2019, als keine Nachfolge für den langjährigen Präsidenten Fredy Wunderlin gefunden werden konnte. Ad interim übernahm Vizepräsident Daniel Schmied vom Schmink und Theaterparadies die Aufgabe.

Abrupter Rücktritt trotz Neuzuwachs

Dass immer mehr Vereine Mühe haben, ihre Vorstände zu erneuern, ist eine Erscheinung der heutigen Zeit. Doch in diesem Fall führte noch ein anderer Faktor zum Eklat: Ein Generationenkonflikt schwelte unter den Gewerbetreibenden. Die Digitalisierung, soziale Medien und neue Plattformen veränderten die Strukturen und die Aktivitäten. Zwar war die Mitgliederzahl leicht angestiegen, die Anlässe für Neumitglieder wurden jedoch in erster Linie von ehemaligen Gewerbetreibenden besucht. Auch die Auftragsakquise fand nicht mehr statt. «Die Zeiten, in denen der Gewerbeverein nebst dem geselligen Aspekt auch der Vermittlungen von Aufträgen diente, sind vorbei», sagte Interimspräsident Schmied im Juni 2019 in einem Interview in dieser Zeitung. In einer Retraite suchte der Vorstand nach Lösungen, um die drohende Auflösung abzuwenden. Zwei junge Gewerbetreibende wurden ins Boot geholt, Pascale Suter und Marco Leanza. «Beide bekunden mit Leidenschaft die Absicht, den aktuellen Vorstand tatkräftig in der Entwicklung und Richtungsbestimmung zu unterstützen. Sie bringen auch neue Ideen in die Phase der Umwandlung», schrieb der Gewerbeverein optimistisch. Doch dann trafen an der Generalversammlung im Februar 2020, kurz vor dem Lockdown, zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen davon, was ein Gewerbeverein sein soll, aufeinander. Während die jüngeren Vorstandsmitglieder die Digitalisierung der Organisation vorantreiben wollten, fragten sich die Alteingesessenen, wie das Gemeinschaftliche und der Austausch zwischen den Gewerbetreibenden gelebt werden solle, wenn alles nur noch online stattfindet. Die Differenzen müssen unüberbrückbar gewesen sein, denn noch am selben Abend trat der Vorstand samt den beiden Neuzugängen geschlossen zurück und zwei ehemalige, Martin Bürlimann und Barbara Schürz, übernahmen wiederum interimistisch die Leitung.

Fusionierung nicht immer möglich

Als im Juli 2020 zur ausserordentlichen Generalversammlung geladen wurde, waren die Würfel eigentlich bereits gefallen. Trotzdem hofften einige Mitglieder auf eine Weiterführung. Im Vorfeld hatte der Wirtschaftsraum Zürich sein Interesse an einer Fusionierung mit Wipkingen angemeldet. Man zweifelte jedoch daran, dass er ein passender Partner sei. Ohnehin hätte es für einen Zusammenschluss Mitglieder benötigt, diesen durchzuführen und finanzielle Mittel, die der Verein so nicht besass. Schliesslich war die Entscheidung klar: Die Geschichte des Verein Gewerbe Wipkingen sollte hier zu Ende gehen.

Der andere Gewerbeverein

So gesehen etwas anachronistisch gründete sich am 15. Mai 2019 ein neuer Gewerbeverein, eine Vereinigung von schweizweit 350 Mitgliedern, 51 davon in Zürich, einige aus Wipkingen, die sich selbstbewusst «Der Gewerbeverein » nennt. An der Nordstrasse in Wipkingen führt eines der Vorstandsmitglieder, Simon Meyer, sein Geschäft. Anlass für die Gründung gab das Gefühl vor allem jüngerer Gewerbetreibenden, von den älteren und konservativeren Vertreter*innen des Schweizer Gewerbeverbands in der Politik schlecht vertreten zu werden. Immer mehr Gewerbetreibende würden keinen Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeit und einem verantwortungsvollem Umgang mit der Umwelt und der Gesellschaft sehen, so Meyer. Hier könne der Gewerbeverein zur politischen Stimme des Klein- und mittleren Gewerbes werden, welche eine grüne und sozialtaugliche Wirtschaft befürworten. Über mangelnden Zulauf kann sich Meyer nicht beklagen, er vermutet, dass weniger der Generationenkonflikt das Problem vieler Vereine ist, sondern dass das aktuelle Angebot nicht mehr den Bedürfnissen der Unternehmer*innen entspricht. Selbstverständlich spiele auch in dieser jungen Gewerbevereinigung der Austausch unter Gleichgesinnten eine wichtige Rolle, sei es in Form von Know-how für die Kundenakquisition oder aus Geselligkeit – das Netzwerk könne nie gross genug sein.

Wie weiter?

Hört man sich unter den Gewerbetreibenden um, erhält man nicht den Eindruck, dass es in Wipkingen in naher Zukunft zu einer Neuformierung des lokalen Gewerbevereins kommen könnte.
Von Seiten derer, die sich bereits lange Jahre engagiert haben, heisst es, jetzt müssten die Jungen ran. Der Frust, viel Zeit und Energie für die Gemeinschaft investiert und dafür meist doch nur Kritik geerntet zu haben, schwingt deutlich mit. Neben dem Generationenkonflikt stellt man sich die grundsätzliche Frage, wie viele sichtbare Unternehmen es in Wipkingen überhaupt noch gibt, die gemeinsam etwas für das Quartier organisieren können und wollen. Auf der Seite derer, die Veränderungen antreiben wollten, ist die Unzufriedenheit ebenfalls zu spüren. Überspitzt gesagt, suchen die Jüngeren im Gewerbeverein keine zusätzliche Freizeitbeschäftigung. Wenn sie sich einer Gruppe anschliessen, wollen sie auch einen expliziten Mehrwert für ihr Geschäft sehen. Sie verstehen den Verein selber eher als Club oder Firma, in der Mitarbeit im besten Fall auch bezahlt wird. Interessanterweise wünschen sich beide Seiten eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen, wie dem Quartierverein, Institutionen und anderen Gruppen in Wipkingen. Ein Patentrezept, wie man alle Interessen unter einen Hut bringen könnte, ist bislang jedoch ausstehend. Doch nur schon um politisch Einfluss nehmen zu können, wird sich das  Gewerbe in irgendeiner Form organisieren müssen. Wobei hier auch die Frage gestellt werden muss, ob es «das» Gewerbe, unter dem sich alle Unternehmungen bündeln lassen, überhaupt noch gibt.

Auch dem Höngger Gewerbeverein droht das Aus

«Das Ende des HGH?». So lautete der Betreff der E-Mail, die der Verein Handel und Gewerbe Höngg (HGH) am 2. Dezember an seine Mitglieder versendet hat. Ein letzter Weckruf, denn es ist schon länger bekannt, dass der Vorstand im kommenden Jahr seine Ränge nicht mehr füllen kann. Die Existenz des über 40 Jahre alten Vereins steht auf dem Spiel. Interne Spannungen oder der Generationen-Clash seien in Höngg nicht das Problem, sagt Vizepräsident Urs Kropf. Es seien eher Symptome des sich verändernden Zeitgeistes, die den Verein gefährden. Gewerbetreibende, die sich in einem Vorstand engagieren wollten, gäbe es fast nicht mehr. Dabei würde der Aufwand für alle kleiner, je mehr Personen die Aufgaben unter sich aufteilen könnten. Nur die Arbeit, aber keine Anerkennung zu haben, sei jedoch längerfristig frustrierend. Als erste Massnahme hat der HGH nun beschlossen, die Mindestamtsdauer der Vorstandsmitglieder von drei auf ein Jahr zu senken. «So ist der Zeithorizont überschaubar und ein Rücktritt jedes Jahr möglich», schreibt Kropf in der Nachricht an die Mitglieder. Ausserdem blickt der HGH über die Quartiergrenzen hinaus Richtung Wipkingen und ruft die dort ansässigen Gewerbetreibenden auf, sich zu melden, wenn ein Interesse an einem Beitritt oder einem Zusammenschluss besteht. «Wir freuen uns über Ideen, wie wir den Verein retten können, erwarten aber nicht, dass jemand mit pfannenfertigen Rezepten kommt», meint der Vizepräsident. Hauptsache sei, es fänden sich genügend Personen, um die Aufgaben des Vorstandes zu stemmen und dem lokalen Gewerbe damit auch ein politisches Gewicht und Einflussmöglichkeit auf Stadtebene zu verleihen. Bis Ende Januar ist noch Zeit, eine Lösung zu finden. Danach wird über die Zukunft des HGHs entschieden werden müssen. 

Auch der Verein Handel und Gewerbe Höngg bangt um seine Zukunft.

Auch der Verein Handel und Gewerbe Höngg bangt um seine Zukunft.

Interessierte melden sich gerne beim Handel und Gewerbe Höngg,
Daniel Wegmann, Präsident, obsthaus.wegmann@bluewin.ch
oder Telefon 044 341 97 40

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