Wie wird eine Stadt smarter?

Smart City: Ein Anglizismus, mit dem sich jede Stadt gerne schmücken möchte – smart will wohl jede sein. Auch die Stadt Zürich hat eine Smart-City-Strategie entworfen. Doch was steckt genau hinter dem Begriff? Wer profitiert von diesem Konzept und wer nicht?

Dank Digitalisierung und neuen Technologien sollen Städte smarter werden.
Auch Zürich soll nun smart werden.
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Städte überall auf der Welt wachsen stetig, sowohl in Bezug auf die Fläche als auch auf die Bevölkerung. Bis 2050 werden rund zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Dieser Wandel bringt Probleme wie Luftverschmutzung mit sich. Diese Angelegenheiten bilden den Ausgangspunkt der Smart City: Die Lebensqualität der Bevölkerung soll trotz der Herausforderungen gleichbleiben oder sogar gesteigert werden, der Ressourcenverbrauch soll gleichzeitig gesenkt werden. Neue Technologien und digitale Transformationen bilden dabei Schlüsselelemente beim Suchen nach Lösungsansätzen.

Nachhaltige Strassenbeleuchtung und intelligente Abfalleimer

Der Stadtstaat Singapur hat sich schon intensiv mit dem Thema Smart City/Nation auseinandergesetzt. Für deren Umsetzung wurde sogar ein Minister ernannt. Bei der Optimierung des öffentlichen und privaten Verkehrs wird auf Sensoren und Datenanalysen gesetzt. Die Sensoren liefern dann beispielsweise Daten zur optimalen Steuerung des Metronetzwerks. Um Staus im Stadtzentrum zu verringern, nutzt Singapur «Electronic Road Pricing», das heisst, die Nutzung der Strassen wird elektronisch erfasst und in Rechnung gestellt. Geoinformationssysteme und Virtual Reality helfen den Stadtplaner*innen, Gebäude so zu planen, dass sie verkehrs- und klimatechnisch möglichst günstig liegen.
Eine weitere wichtige Komponente der Smart City ist es, die Bürger*innen miteinzubeziehen. Die Plattform «Better Reykjavik» tut genau das: Auf der Website können Einwohner*innen von Reykjavik Vorschläge für lokale Gesetze und für städtische Projekte machen. Die Vorschläge werden darauf auf der Plattform debattiert und wenn ein Vorschlag genügend Unterstützung findet, wird darüber abgestimmt. Die Ideen beeinflussen zum einen den politischen Prozess, zum anderen können beliebte Vorschläge für Projekte mit Krediten unterstützt werden. Mit Erfolg: Seit 2012 wurden schon 608 der zahlreichen Ideen umgesetzt. Obwohl die Hauptstadt Islands mit 100 Prozent der genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen schon als sehr ressourcenschonend gilt, versucht auch diese Stadt, noch «smarter» und nachhaltiger zu werden. Mit einer öV-App zum Beispiel, die über Verspätungen informiert und über die Tickets gekauft werden können. Für Schweizer*innen ist dies nicht speziell, da mit der SBB-App ein sehr ähnliches Programm vorliegt. Ein grosser Teil des Smart-Reykjavik-Projektes scheint noch in der Zukunft zu liegen, wie Lichtmasten, die sich dem Wetter anpassen, oder «smarte» Abfalleimer, die eine Meldung rausgeben, sobald sie voll sind. Eine Funktion, die jetzt schon genutzt wird, sind Apps, die von Kindergärten angeboten werden. Die Eltern werden mit Benachrichtigungen auf dem Laufenden gehalten: Die Apps zeigen auf, was das Kind isst, wann es schläft, wie es in den verschiedenen Fächern läuft. Dieser Fall zeigt, dass der Smart-Hype schnell auch ins Lächerliche gerät.

Big Brother is watching you

Ein noch extremeres Negativbeispiel der Smart City spielte sich in San Jose, Kalifornien, ab. Dort wurden als Teil der Smart-City-Strategie intelligente Strassenlaternen vorgeschlagen. Die Strassenlaternen sollten mit Videokameras und Mikrophonen ausgestattet werden, um zu erkennen, ob sich Menschen in der Nähe befinden und die Lampen demnach angeschaltet sein sollten. Als Reaktion darauf lancierte die Electronic Frontier Foundation eine Initiative die darauf aufmerksam machte, dass diese Art von Strassenlaternen die Privatsphäre einschränken. Ihr Slogan: «Big Brother is watching you». Die Initiative hatte Erfolg und die Lampen wurden nicht eingeführt. Die Problematik der Privatsphäre und des Datenschutzes im Zusammenhang mit Smart Cities bleibt jedoch. Denn ein grosser Teil vieler Projekte in diesem Bereich gehen von Datensammlung und –auswertung aus. Dass bald überall Sensoren sind, hat auch Schattenseiten. Wenn mehr Technologien durch die Auswertung von Daten gebraucht werden, dann werden logischerweise immer mehr Daten gesammelt. Es scheint also naheliegend, dass zu jeder Smart-City-Strategie eine Datenschutz-Strategie gehören sollte.
Ein Versprechen der Smart City ist auch, dass für alle die Lebensqualität erhöht werden soll. Doch ist dem wirklich so? Ein grosser Teil der Projekte findet auf dem Internet statt. Vor allem Plattformen, auf denen man eigene Ideen einbringen kann, findet man auf dem Internet. Doch was ist, wenn das technische Wissen fehlt oder man keinen Zugang zum Internet hat? Eine Studie von ProSenectute ergab, dass 2015 in der Schweiz nur 56 Prozent der über 65-Jährigen das Internet nutzen. Ältere Menschen würden in diesem Fall klar benachteiligt. Wenn man das Bahnticket in Zukunft nur noch mit einer App lösen kann, haben sie auch ein Problem. Ausserdem sind Sans-Papiers in einer benachteiligten Position: Wenn man zum Beispiel Bahntickets per App kauft, muss man Zahlungsdaten hinterlassen. Menschen, die zur vorläufigen Aufnahme in der Schweiz bleiben dürfen, dürfen keinen Abo-Vertrag fürs Handy abschliessen; diese Gruppe würde ebenfalls nicht profitieren können.
Es gibt natürlich auch positive Aspekte: Von Klimafreundlichkeit und Ressourcenschonung profitieren alle. Probleme wie Luftverschmutzung und Staus müssen mit innovativen Lösungen angegangen werden, und Smart City ist ein Weg dazu. Dass den Menschen eine Plattform angeboten wird, sich mit neuen Ideen zu beteiligen, ist sinnvoll. In der Schweiz gibt es ebenfalls schon Smart-City-Projekte, die nützlich erscheinen. Ein Beispiel ist das Quartier Schwemmiweg in Walenstadt, wo das Pilotprojekt «Quartierstrom» eingeführt wurde. 37 Parteien haben sich dort zu einem lokalen Strommarkt zusammengeschlossen. In diesem Markt gibt es einerseits normale Konsumenten, andererseits auch «Prosumenten»: Parteien, die gleichzeitig Konsumenten und Produzenten mit Solaranlagen sind. Wer Solarstrom produziert, verkauft ihn nicht dem Stromversorger, sondern direkt im lokalen Strommarkt.

Smart City Zürich

Auch Zürich soll zur Smart City werden. Gewisse Zürcher Projekte gingen schon vorher in diese Richtung. Sharing-Optionen zum Beispiel, die mit Lime-Bikes und E-Trottinets letztes Jahr in Zürich regelrecht einen Boom erlebten. Oder züriwieneu.ch, eine Website, über die Missstände im öffentlichen Raum gemeldet werden können. Ebenfalls eine Website, die an die Plattformen in Madrid und Reykjavik erinnert, gibt es schon: Auf «Nextzürich» können die Ideen und Wünsche der Stadtbewohner als Ausgangspunkt für eine neue Form von Stadtentwicklung wirken. Die Beiträge werden dann von «Nextzürich» gesammelt, redaktionell aufbereitet und mit Experten und anderen Beteiligten zu Projektentwürfen ausgearbeitet. Jedoch ist diese Plattform noch nicht so erfolgreich wie in anderen Städten, es wurden erst 254 Ideen erstellt. Der Gemeinderat hat sich 2016 auf Basis einer GLP-Motion entschieden, eine Smart-City-Strategie zu fordern. Sie wurde Ende 2018 veröffentlicht, 2019 soll dafür ein Nachtragskredit von 1,4 Millionen Franken, in Folgejahren bis zu 2,4 Millionen Franken, gezahlt werden. Die drei Schwerpunkte sind der öffentliche Verkehr, die digitale Stadt und die smarte Partizipation. Das Angebot des öV soll ressourcenschonend erweitert werden. Die Digitalisierung der Stadtverwaltung und die Entwicklung von Online-Services sollen vorangetrieben werden, gleichzeitig will man auch die digitale Infrastruktur an Schulen verbessern. Mit der smarten Partizipation soll die Beteiligung und Mitwirkung verschiedener Anspruchsgruppen erreicht werden. Die Strategie hat zentrale Instrumente zum Erreichen einer smarten Stadt aufgezeichnet. Dazu gehören unter anderem ein Innovationskredit zur Projektförderung sowie eine Innovationsbox für Mitarbeitende der Stadtverwaltung: Damit erhalten sie die Möglichkeit, ihre Ideen einzubringen. Oder das Programm «Innovation Fellowships»: Dies fördert den Einbezug von Expertise zu ICT und Innovation aus Unternehmen oder Hochschulen. Diese Experten wirken dann während sechs bis zwölf Monaten in der Stadtverwaltung. Dieser Wissensaustausch scheint sehr sinnvoll.

Auch bei der Zürcher Smart-City-Strategie ist jedoch das Thema Datenschutz wieder ein Kritikpunkt. Sogar die Initiantin von Smart City Zürich, Isabel Garcia (GLP), meint, dass darin dem Datenschutz zu wenig Gewicht gegeben werde. Klare Bestimmungen seien hier notwendig, denn die Digitalisierung dürfe nicht auf Kosten der persönlichen Freiheit gehen. In der Strategie wird zum Thema Datenschutz erwähnt, dass verwaltungsinterne und -externe Daten mit Institutionen und der Öffentlichkeit geteilt würden. Es steht zwar «Dabei bleibt der persönliche Datenschutz gewahrt», genauere Informationen oder Strategien zum Thema Datenschutz wurden jedoch nicht erarbeitet.

Quartieridee – ein Gedankenexperiment

Zum Thema Smart City und Partizipation haben die Vereine Nextzürich und Urban Equipe ein Gedankenexperiment gewagt und die «Quartieridee» entwickelt. Diese sieht ein Zürich-spezifisches Online-Partizipationsverfahren auf Quartierebene nach dem Prinzip des sogenannten «Participatory Budgetings» vor. Dabei handelt es sich um einen demokratischen Prozess, in der die Bevölkerung darüber entscheiden kann, wie ein Teil des öffentlichen Haushalts – also des Jahresbudgets der Stadt – ausgegeben wird.
In ihrem 52 Seiten starken Konzeptpapier skizzieren die Vereine, wie die Mitwirkung funktionieren und welche Vorteile dieses neue Instrument für Politik und Bevölkerung mit sich bringen könnte. So könnten sich alle Raumnutzer*innen unabhängig ihres Alters, ihrer Nationalität und ihres Wohnsitzes einbringen und über Ideen abstimmen. Dies würde einerseits auch den in der Stadt wohnhaften Ausländer*innen (18,2% der Raumnutzenden), den Stadtzürcher Minderjährigen (6%) und den Zupendlern (33.1%) ein Mitspracherecht verschaffen. Auf der anderen Seite hätten die politischen Vertreter*innen, Stadtplaner*innen und die Stadtverwaltung über die Plattform direkten Zugang zu den Bedürfnissen der Quartierbevölkerung.

Raumnutzer*innen machen Stadtentwicklung

Um die Projektideen der Bevölkerung umzusetzen, sieht das Gedankenexperiment ein Verfahren in drei Etappen vor: In einer ersten «Ideen- und Votingphase» können die sogenannten Raumnutzer*innen oder Stadtmacher*innen Ideen online sammeln und diskutieren. Anschliessend werden diese bewertet, und die Ideen mit den meisten Stimmen gelangen in die zweite Etappe, die «Entwicklungsphase». Diese liegt mehrheitlich in der Verantwortung der Verwaltung. Hier werden die Konzeptideen auf ihre Konformität mit bestehenden Planungsgrundlagen und Gesetzen geprüft. Es folgt die Ausarbeitung von umsetzbaren Projekten und die Abschätzung der Kosten. Für diese umfassende Aufgabe muss gemäss den Verfasser*innen eine Funktion geschaffen werden, die «Projektleitung» genannt werden kann und die erfahrungsgemäss eher innerhalb der Verwaltung angesiedelt sein sollte, um ihre Aufgaben zielführend zu erledigen. In der dritten und letzten Etappe kann die Bevölkerung nun über die aus der Entwicklungsphase hervorgegangenen Projekte erneut abstimmen. Diese werden in einer Übersicht mit ihren Kosten aufgeführt. Das Online-Voting sollte unbedingt von Offline-Veranstaltungen begleitet werden, um auch Raumnutzer*innen zu erreichen, die nicht internetaffin sind. Sind die Projekte gewählt, werden sie kommuniziert, und es kann mit deren Umsetzung begonnen werden.

Noch sind nicht alle Fragen beantwortet. Wer kann wie an den Abstimmungen teilnehmen? Wie steht es um den Datenschutz, wenn man sich registrieren muss, wie um die Sicherheit und die Verlässlichkeit der Abstimmungsresultate, wenn die Registrierung Pflicht ist? Wer finanziert das gesamte Projekt? Ob die Stadt bereit ist, richtig Smart zu werden, und ob ein solches Partizipationstool in Zürich funktionieren kann, lässt sich wohl erst beurteilen, wenn man es ausprobiert hat. Ob und wie dies geschehen wird, wird die Zukunft zeigen.

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