Wipkinger Wasserversorgung

Der Bau der Wasserversorgung war das letzte grosse Bauwerk der Gemeinde Wipkingen vor der Eingemeindung 1893. Der einstige Überlauf des Reservoirs auf dem Käferberg ist der heutige Wolfgrimbach.

Von den drei Dorfbrunnen stehen noch zwei, hier jener an der damaligen Steimerstrasse, heute Kreuzung Waidstrasse/Dorfstrasse.

 

Fuhrhalter Siegfried staunte im Dezember 1880 nicht schlecht, als er auf seiner Gubelwiese Baumeister Hermetschwyler Messlatten ausstecken sah. Siegfried war der einzige, der seine ergiebige Quelle nicht hatte hergeben wollen. Paul und Maria Wunderli von der Weid, Schlosser Rütschi vom Lehen, Doktor Hirzel vom Nürenberg und Herr Nötzli von der Rothen Buche hatten ihre Quellen den Brunnengenossen für das grosse Projekt gegen Wasserzins abgetreten.
Ohne die Quelle von Fuhrhalter Siegfried gäbe es zu wenig Wasser, um genügend Druck in den Leitungen zu erzielen – er aber wollte seine Quelle partout nicht verkaufen. Sogar das Angebot, Siegfried könne einen Tag pro Woche kostenlos den neuen Wassermotor benutzen, fruchtete nichts. Die Brunnengenossen hatten nach zwei Jahren reden, offerieren und betteln genug vom Gebaren des Dorfkönigs und fuhren gröberes Geschütz auf: Sie steckten oberhalb der Siegfried‘schen Gubelwiese provokativ einen Stollen aus – man grub Siegfried das Wasser ab.

Drei Dorfbrunnen

Einst gab es drei Dorfbrunnen in Wipkingen, erbaut von den Brunnengenossen: den hinteren, den mittleren und den un¬teren. In den 1820er Jahren gründeten die rund 50 Hausbesitzer in Wipkingen die Brunnengenossenschaft als Korporation. Sie pflegten die drei Dorfbrunnen, unterhielten die Röhren und legten den Wasserzins fest. An ihrer Spitze stand der Brunnenmeister. Die Brunnen reichten aus, um die kleine Gemeinde mit Trinkwasser zu versorgen. Die Brunnen waren auch Treffpunkt im Quartier, man hielt gerne einen Schwatz beim Wasserholen. Das frische Quellwasser wurde geschätzt, die Frauen wuschen ihre Wäsche, die Fuhrhalter tränkten ihre Pferde und manchmal – was nicht gern gesehen war – soffen Kühe den Trog halb leer. Mit dem Wachstum der Gemeinde waren die Brunnen permanent überlastet.
Die Stadt Zürich baute 1879 das Pumpwerk Letten. Das Pumpwerk entnahm oberhalb der Kloaken Limmatwasser, filterte es und pumpte es in die Trinkwasser-Reservoire auf dem Zürichberg. Der Wipkinger Gemeinderat beauftragte die Brunnengenossen zu prüfen, ob sich die Gemeinde dem Pumpwerk anschliessen oder eine eigene Wasserversorgung erstellen solle und ob genug Löschwasser im Brandfall von der Waid her fassbar wäre.

Es geht vorwärts

Die Brunnengenossen legten dem Gemeinderat einen Plan zur umfassenden Wasserfassung vor. Der Käferberg würde genügend Quellwasser liefern, behauptete eine geologische Untersuchung. Allerdings wäre der Einbezug aller privaten Quellen nötig, um die Eigenversorgung mit Wasser sicherzustellen. Die ergiebigste Quelle war jene von Fuhrhalter Siegfried. Er wusste um den Wert und verlangte einen überrissenen Preis.
Die drei Dorfbrunnen lieferten 55 Liter klares Wasser pro Minute, nach Regen bis zu 80. Die Brunnengenossen waren der Meinung, dass 70 bis 80 Liter pro Minute für ein Reservoir mit angeschlossenen Hausleitungen für 2’000 Einwohner genügten. An den Leitungen könnte man auch Hahnen mit Wassermotoren zum Dreschen, Drechseln oder Holzsägen anbringen. Das Interesse stieg, man liess offerieren und schrieb Obligationen aus.
Um die Chose zu beschleunigen, griff Präsident Wismer-Dietschi an der Versammlung am 16. September 1880 zu einer List. Er liess schriftlich unter Namensaufruf abstimmen, und «…die anwesenden Mitglieder, darunter Witwen, welche berechtigt waren, Stellvertreter an die Versammlung zu schicken, halfen wesentlich bei, die Anträge der Commission, zur Verwunderung Vieler, zum gültigen und unanfechtbaren Beschluss zu erheben», stand im Schlussbericht. Die Brunnengenossen konnten die Sache in die Hand nehmen.
Schon am nächsten Morgen begann die Arbeit. Quellfassung, Reservoir und Leitungen wurden schweizweit ausgeschrieben. Der Auftrag für Fassung, Zuleitungen und Reservoir ging an das «Cementbaugeschäft Hermetschwyler» in Wollishofen. Die gusseisernen Leitungen lieferte «JB. Frey» aus Dielsdorf.

Der Querschläger lenkt ein

Fuhrhalter Siegfried stellte sich nicht länger quer und unterzeichnete den Vertrag mit den Brunnengenossen. Man hatte ihm im Dorf zu verstehen gegeben, was man von ihm hielt. Nun gab es für ihn deutlich schlechtere Konditionen als ursprünglich offeriert und die kostenlose Nutzung des Wassermotors konnte er sich abschminken.
Bereits im November 1880 war die Hauptleitung verlegt. Der Hydrantentest war ein Erfolg: Auf 80 Meter Gefälle spie der Hydrant eine Fontäne von 45 bis 50 Metern. Am 30. Dezember 1880, nach nur drei Monaten Bauzeit, waren Reservoir, Hahnenkammer und Teilschacht fertig. Man gab weitere Obligationen zu 5’000 Franken aus und kaufte bei der «Schmid Maschinenfabrik» an der Sihl einen fahrbaren Wassermotor mit Kreissäge.
Im April 1881 war das Bauwerk vollendet. 56 Wohnhäuser mit 153 Kochherden waren angeschlossen, nebst Zuleitungen zu Waschhäusern, Bäckereien, Metzgereien, Werkstätten und Ställen. Das Protokoll vermerkt, dass die Wasserversorgung einwandfrei funktionierte, immer genügend Wasser und Druck vorhanden waren und keine einzige Leitung repariert werden musste.
Die Gemeinde war stolz auf ihr beeindruckendes Bauwerk. Die Quellfassungen und Zuleitungen zum Reservoir auf dem Käferberg bestanden aus 845 Laufmetern Zementröhren in einer Tiefe von drei bis vier Metern. Das Reservoir fasste 3’000 Hektoliter. Die Zuflüsse brachten 132 Liter pro Minute in 8 Grad Réaumur – der damals geltenden Temperatureinheit, entsprechend 10 Grad Celsius – zum Reservoir. Ein Ventil mit Überlauf sicherte den Überdruck. Der Wolfgrimbach, der heute fröhlich gen Limmat plätschert, entstand 1881 als Überlauf des Reservoirs der Wipkinger Brunnengenossen. Die gusseisernen Röhrenleitungen waren insgesamt 2’303 Laufmeter lang, der Druck in der Hauptleitung lag bei 15 Atmosphären. Der Feuerwehr standen im Brandfall 15 Hydranten und sechs Schieberhahnen zur Verfügung. Die Wurfweite beim Hydranten neben dem Kirchlein betrug 60 Meter, was damals keine Dampfspritze fertigbrachte.
Beim Einweihungsfest am Samstag, 14. Mai 1881, war das ganze Dorf im Saal zur Post eingeladen (im «Inseli» an der Röschibachstrasse 16). Beim Kirchlein hatten die Brunnengenossen ein Bassin aus Zement mit Blumengrotte und Fontäne errichtet, die Feuerwehr demonstrierte dem staunenden Volk den Wasserstrahl und der Wassermotor drosch Hafer und fräste «Rebstecken», «Gartendöggli» und Brennholzspälte. Am Abend wurde die Fontäne bengalisch beleuchtet, und am Sonntag gab es eine würdige Feier mit Gesang des Männerchors und allgemeinem Kirchgang. Das Protokoll berichtet von einem gelungenen Volksfest ohne Makel, ausgenommen stattgefundene Durchnässungen.

(Quelle: Bericht des Vorstandes der Wasserversorgungs-Gesellschaft Wipkingen, 1883)

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