Zum Geburtstag anderen Freude schenken

Christine Aebi gewann bei einer Verlosung der Migros einen grossen Preis: Sie durfte in einem Migros-Restaurant ihrer Wahl ein Geburtstagsfest für 100 Gäste ausrichten. Mit einer grosszügigen Geste machte sie aus diesem Fest etwas ganz Besonderes.

Guy Schicker und Christine Aebi, die Gastgeberin.

«Eigentlich», so erklärt Christine Aebi rund einen Monat nach ihrem Geburtstagsfest bei einem Kaffee im Migros-Restaurant am Limmatplatz, «wollte ich meinen 56. Geburtstag überhaupt nicht gross feiern – und schon gar nicht in diesem Rahmen.» Doch weil sie den Hauptpreis der Verlosung zum 20-Jahre-Jubiläum von «Cumulus» nun einmal gewonnen hatte und dieser ausschliesslich für die Organisation einer Geburtstagsparty galt, begann die Wipkinger Kulturschaffende zu überlegen: «Aus diesem grossen Gewinn wollte ich etwas Sinnvolles machen, etwas, das nicht nur mir Freude bereitet, sondern auch anderen im Quartier ansässigen Menschen etwas bringt», so Aebi.

Wer soll mitfeiern?

Das gestaltete sich als schwieriger als gedacht. Zunächst spielte Aebi mit dem Gedanken, zu ihrem Fest Familien einzuladen, die es sich normalerweise nicht leisten können, in ein Restaurant essen zu gehen. Es war jedoch nicht so einfach, den Kontakt zu solchen Familien herzustellen. «Ausserdem», so überlegte sie sich im Verlauf der Suche, «ist es für die einzelnen Familien vielleicht nicht so angenehm, sich bei einem Fest zu begegnen, wo jeder vom anderen denkt: «Aha, die haben also auch kein Geld» und die soziale Kontrolle dann wahrscheinlich ein ungezwungenes Beisammensein erschwert». Also weitete sie ihre Suche aus. In Gesprächen hatte sie von «Refugees welcome in Wipkingen» erfahren. Eine Gruppe von Freiwilligen, die regelmässig Treffen zwischen den Asylsuchenden aus dem Durchgangszentrum an der Dorfstrasse und Quartierbewohnenden organisiert. Bis zur Schliessung des Durchgangszentrums im Februar dieses Jahres hatten die Freiwilligen einmal monatlich Bewohnerinnen und Bewohner des Durchgangszentrums zum gemeinsamen Kochen und Essen abgeholt. «Die Idee von <Refugees welcome>» fand ich super. Ich hatte bis dahin noch nicht einmal mitbekommen, dass es in Wipkingen ein Durchgangszentrum gab und war begeistert davon, dass es so viele Menschen gibt, die sich für die Flüchtlinge einsetzen», führt Aebi aus. Damit war auch klar, wen sie zu ihrer Geburtstagsparty einladen würde – die Freiwilligen von «Refugees welcome» mitsamt all den Asylsuchenden, die an den Kochtreffen teilgenommen hatten.

Dank fürs Engagement und den Mut zur Offenheit

«Ich wollte mich mit dieser Einladung bei all diesen Menschen für ihr Engagement bedanken und ihnen die Gelegenheit geben, sich auch einmal so richtig verwöhnen zu lassen», erklärt Aebi ihre Beweggründe. Besonders schätzt sie an der Arbeit von «Refugees welcome» die Offenheit, mit der die Freiwilligen und die Asylsuchenden aufeinander zugehen. «Offen zu sein und ohne Vorurteile auf andere zugehen zu können braucht eine Menge Mut, weil Offenheit verletzlich macht. Wenn man aber weiss, dass es noch andere Menschen gibt, die diese Offenheit schätzen und teilen, gibt das Kraft zum Weitermachen. Mein Fest sollte daher auch die Gelegenheit bieten, sich gegenseitig zu stärken und einander Mut zu machen».

Freie Wahl bei der Festgestaltung

Nachdem der Kontakt zu der Gruppe über Ursula Marx vom Gemeinschaftszentrum Wipkingen hergestellt worden war, machte sie sich mit Guy Schicker und Jan-Marc Lehky daran, die grosse Party zu organisieren – unterstützt natürlich von dem von der Migros mit der Festgestaltung beauftragten Partyunternehmen. Als Location fiel Aebis Wahl unter all den möglichen Migros-Restaurants auf dasjenige am Limmatplatz, «weil ich doch hier im Quartier zu Hause bin.» Von den Einladungskarten bis hin zum DJ wurde anschliessend alles für sie organisiert, sie musste nur noch Wünsche äussern, wie sie es haben wollte: «Wir konnten bei der Gestaltung des Festes wirklich aus dem Vollen schöpfen. Das Budget für den gesamten Anlass betrug stolze 10’000 Franken. Guy und ich haben gemeinsam den Apéro und ein Buffet mit mehreren Gängen zum Mittagessen ausgewählt, dazu ein grosszügiges Dessertbuffet. Auch bei den Getränken hatten wir freie Wahl».

Wie kommt man genau auf 100 Gäste?

Eine Herausforderung stellte die Anzahl der Gäste dar. Maximal 100 Personen waren erlaubt, und Aebi war fest entschlossen, diese Zahl auszuschöpfen: «Ich wollte so viele Gäste wie möglich einladen, um den Preis voll auszunutzen. Eine solche Gelegenheit wollte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen». Zunächst sah es so aus, als könnten Aebi und Schicker die 100 Gäste alleine aus dem Pool der Freiwilligen und Asylsuchenden von «Refugees welcome» bestücken. Doch je näher der Termin heranrückte, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass es eher 60 Leute werden würden, die über die Organisation zum Fest kommen würden. «Also lud ich kurzerhand noch 20 meiner Freunde und Bekannten aus meinen Kunstprojekten ein sowie meine enge Familie. Am 7. Mai, als das Fest dann tatsächlich stattfand, wurden die Sicherheitsleute, die den Eingang überwachten und jeden Ankommenden mit einem Armband kennzeichneten, schliesslich ziemlich nervös, als immer mehr Leute eintrafen. Schlussendlich waren es jedoch ganz genau 100 Gäste, die sich im Migros-Restaurant Limmatplatz einfanden», freut sich Aebi.

Offenheit gewinnt

Die meisten ihrer Gäste kannte Aebi natürlich vorher nicht, bemühte sich aber, mit jedem ein wenig ins Gespräch zu kommen. «Ich habe mit all meinen Gästen geplaudert und hatte oftmals keine Ahnung, woher sie kamen, ob sie Flüchtlinge waren oder aus Wipkingen stammten – das alles spielte an diesem Nachmittag jedoch auch überhaupt keine Rolle». Wichtig war nur, dass sich alle am gemeinsamen Anlass erfreuten und die einmalige Gelegenheit genossen, miteinander zu feiern. Bei den Kindern gab es naturgemäss die geringsten Berührungsängste. In der von Schicker zur Verfügung gestellten Kinderspielecke mit Spiel- und Bastelartikeln kamen sich diese von Beginn an näher und spielten ungeachtet der sprachlichen Barrieren einträchtig miteinander. Doch auch die Erwachsenen gingen offen aufeinander zu. «Elsa Schibler, eine professionelle Tangotänzerin vom kleinen Zürcher Kulturzentrum «MIMOS», die sich ebenfalls bei «Refugees welcome» engagiert, erklärte sich bereit, mit den Gästen ein kleines Tango-Tutorial zu machen. Es war sehr schön zu sehen, wer hier alles miteinander tanzt. Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, mit den unterschiedlichsten Lebensgeschichten haben hier gemeinsam Tango getanzt – das hat mich sehr berührt». Die Freude über den Anlass hallt bei Aebi bis heute nach. Oft und gerne denkt sie an das Fest zurück und überlegt sich, wenn sie durchs Quartier läuft, wer von den Passanten, die an ihr vorbeieilen, wohl mit ihr ihren Geburtstag gefeiert haben. Und auch all diejenigen, die bei dem Fest dabei sein durften, werden diesen grosszügigen Beweis der Offenheit wohl nicht so schnell vergessen.

Die Gruppe «Refugees Welcome in Wipkingen» engagiert sich nach wie vor für Flüchtlinge in Wipkingen, auch wenn das Durchgangszentrum an der Dorfstrasse mittlerweile geschlossen ist. Wer Interesse hat, selbst aktiv zu werden, ist herzlich eingeladen, unter refugeeswipkingen@gmail.com mit der Gruppe Kontakt aufzunehmen.

Christine Aebi ist eine Wipkinger Kunstschaffende, die sich momentan mit der Geschichte von Daphne aus der griechischen Mythologie und deren Rezeption in verschiedenen Epochen auseinandersetzt. Ihre Kunstarbeiten werden zusammen mit der ARTelier16-Gruppe vom 9. bis 16. November in der KulturGarage in Wädenswil ausgestellt.

 

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