Zusammenwachsen zum «Lebensraum Schule»

Ein Gespräch zwischen Jeannette Büsser und Frank Beat Keller, zwei engagierten Grünen über Tagesschule, Kinder und Einwanderer.

Jeannette: Sozialarbeiterin, 45, kinderlos, weiss, dass Schule wichtig ist. «Die heutigen Kinder sind wahrscheinlich die Menschen, die mich im Alter pflegen werden.»

Frank: Vermieter von Bodenschleifmaschinen, Architekt, Ethnologe, 67, eine erwachsene Tochter, Mitglied der Schulbehörde.

Jeannette: Männer und Frauen arbeiten durchschnittlich gleich viele Stunden pro Tag. Männer sind für 60% der Stunden bezahlt, Frauen nur für 40%. Zudem verfügen Frauen über fast 20% weniger Einkommen, weil im Dienstleistungssektor – dort wo mehr Frauen arbeiten – kleinere Löhne bezahlt werden. Die Tagesschule wird eingeführt, um den Zugang für Mütter zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Eltern können so anders darüber verhandeln, wie die Arbeitsstunden aufgeteilt werden.

Frank: Die Tagesschule ist ein guter Weg, es gibt aber auch Probleme. Die Mittagszeit für Schülerinnen und Schüler wird stark verändert. Die Rolle des Horts wird eine andere. Im alten System war er für wenige Kinder eine Art zweites Daheim mit engem Bezug zu den Erwachsenen – jetzt wird er für fast alle zum eher unpersönlichen Restaurant. Die Frauen und (wenigen) Männer, die sich da engagieren, verlieren den herzlichen Bezug zu ihren Schützlingen. Da bleibt viel Persönliches auf der Strecke. Aber den Kindern gefällt’s: sie fühlen sich «gross» und «unabhängig».

Jeannette: Mit der Tagesschule werden für die Kinder andere Vorbilder geschaffen. Es wird «normal» sein, dass sowohl Mami und Papi einer bezahlten Arbeit nachgehen, den Haushalt machen und sich mit ihnen beschäftigen. Damit die Gleichstellung kein Gesetzesartikel bleibt, muss die zentrale Frage – wer betreut die Kinder? – gelöst werden.

Frank: Zudem haben so viele Kinder bessere Bildungschancen. Um denken zu können, muss man sprechen können. Ohne Sprache kein Denken. Je früher und intensiver gerade die Kinder, die zu Hause andere Sprachen sprechen – oder gar keine richtig lernen, weil die Eltern selbst nicht sprachmächtig sind oder keine gemeinsame Sprache haben – desto besser werden sie Deutsch und Züritütsch lernen. Die Menschen, die zu uns einwandern – aus welchen Gründen auch immer – müssen sich beileibe nicht völlig angleichen an uns. Aber unsere Sprachen müssen sie sprechen – sonst haben sie wenig Chancen, ihre Möglichkeiten zu leben.

Jeannette: Genau. Eine «gemeinsame» Sprache ist wichtig, damit Beteiligung und damit Integration möglich ist. Ich glaube, Tagesschulen fördern die Chancengleichheit; auch wenn für letzteres noch diverse andere Mittel eingesetzt werden müssen. Zum Beispiel ist es aus meiner Sicht ziemlich unwürdig, dass Menschen, die hier aufwachsen und eine Ausbildung machen, dann mit 18 Jahren nicht wählen und abstimmen dürfen. Ich bin für das automatische Wahl- und Stimmrecht auf Gemeinde- und Kantonsebene. Das würde Zugehörigkeit schaffen und fördert die Verantwortung für die Gemeinschaft. Warum muss ich betteln und bezahlen für etwas, das selbstverständlich sein sollte?

Frank: In der Schule heisst das: so früh wie irgend möglich mit Sprachförderung beginnen. Die Schule kann ja keine Elternnacherziehung verordnen. Aber auch da müssen neue Wege gefunden werden, auf freiwilliger Basis. Hort und Schule, das heisst konkret: Lehrerinnen und Betreuer müssen ebenso zusammenwachsen zum Lebensraum Schule wie Medizin und Pflege zum Lebensraum Gesundbleiben.

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