Leserbrief zum Artikel «Widerstand in allen Formen»

Ende März schrieb der Autor Martin Bürlimann in der Rubrik «Damals» über den Kreis 10 im Zweiten Weltkrieg. Max Furrer ergänzt in seinem Leserbrief den Text um interessante Fakten.

Foto: Max Furrer.

Im zweiseitigen Beitrag «Widerstand in allen Formen» erinnert Martin Bürlimann an die taktische Verteidigungslage im Raum Zürich während des Zweiten Weltkriegs und gewährt einen illustrativen Einblick in das militärische Dispositiv, worin auch Wipkingen einbezogen ist.

Dazu soll hier nichts beigefügt werden, hingegen kann in Wipkingen ein aussergewöhnliches Objekt entdeckt werden. Es geht auf den Ersten Weltkrieg zurück, widerspiegelt jedoch ebenso andere Nachkriegsverhältnisse: Im Jahre 1919 wird der wohl einmalige, markant gestaltete «Rationierungsbrunnen» im kleinen Park an der Trottenstrasse, gegenüber Nummer 15/Ecke Kleinert-Strasse, aufgestellt.

Der kleine Park bei der Trottenstrasse: Dort steht der Rationierungsbrunnen. (Foto: Max Furrer)

Hochgewachsene Rosskastanien rahmen heute diese Idylle mit den zahlreichen Bänken ein, von einem «Hai» (Abfalleimer) bewacht, von Steinpollern abgegrenzt. Eine Tafel im Hintergrund warnt vor jeglichem Versuch, Fahrzeuge parkieren zu wollen.

Beachtenswert ist dieser einmalige Brunnen, weil die Inschriften der Säule weder gefallene Wehrmänner ehren noch militärische Ereignisse stilisieren. Auch wird kein beschlossener und eingetretener Frieden zelebriert, sondern – ganz aussergewöhnlich – an später eingetretene Folgen für den entbehrungsreichen Alltag der Bevölkerung nach Kriegsende erinnert.

Zwei Texte mit Inschriften geben Einblick in die damaligen unglaublichen Einschränkungen. Diese Lebensverhältnisse nach 1918 können wir heutigen Zeitgenossen kaum nachvollziehen.

Inschrift auf dem Rationierungsbrunnen. (Foto: Max Furrer)

Bereits seit 1917 werden Brotkarten ausgegeben, wie auch andere Lebensmittel rationiert, zum Beispiel Fleisch, Milch, Kartoffeln. Kurz: Die Verteilung von Grundnahrungsmitteln wird drastisch eingeschränkt – heute wohl kaum vorstellbar.

Und nach Kriegsende verschärft sich weiter die wirtschaftliche Situation – Fabriken stehen still, das Baugewerbe liegt darnieder. Massenkundgebungen zeugen vom heftigen Unmut der Bevölkerung. Krisensituation herrscht! Als eine Gegenmassnahme wird das Kantonale Ernährungs- und Brennstoffamt gegründet.

Inschrift auf dem Rationierungsbrunnen. (Foto: Max Furrer)

Die Angaben auf zwei Seiten des Brunnenstocks verdeutlichen die konkreten Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung. Sie geben die prekären Ernährungsbedingungen eindrücklich wider und regen durchaus zum Nachdenken an.

Und wecken die Hoffnung, dass uns derartige Verhältnisse niemals wieder herausfordern werden.

Auf der einen Seite des Brunnenstocks steht:

Für einen Franken kaufte man:

1914                                                               1918

3 Kilo Brot                                                      1 ¼ Kilo Brot

4 Liter Milch                                                   3 Liter Milch

8 Kilo Kartoffeln                                             3 Kilo Kartoffeln

3 ½ Kilo Rindfleisch                                        ¼ Kilo Rindfleisch

20 Kilo Kohle                                                  3 ½ Kilo Kohle


Auf der Gegenseite liest man:

Ration pro Tag                                               Ration pro Monat

Brot 225 Gramm                                            Butter 150 Gramm

Milch 5 Deziliter                                            Fett 350 Gramm

                                                                       Käse 250 Gramm

                                                                       Teigwaren 200 Gramm

                                                                       Reis 300 Gramm

Max Furrer, Höngg

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